Totgesagte leben länger...

Urbane Mobilität I

 

Das Ende des Zweitaktmotors

 

Im Stadtbetrieb steht dem Elektromotor eine große Zukunft bevor. Zum Start einer Serie stellt ZEIT ONLINE Motorräder vor, die nicht nur Öko-Freunde interessieren dürften.

 

 

Das Espire ist eines von vielen Elektro-Kleinkrafträdern

Das Espire ist eines von vielen Elektro-Kleinkrafträdern

 

An verwunderte Gesichter und ausgestreckte Zeigefinger werden sich die Besitzer des Espire gewöhnen müssen. Das Ding erregt Aufmerksamkeit. Nicht unbedingt, weil es die Grundform eines Mountainbikes mit einem Gitterrohr-Rahmen kreuzt, der an die italienische Motorradfirma Ducati erinnert. Eher schon, weil der Fahrer über Pedale zu den 1200 Watt Leistung des Elektromotors hundert oder zweihundert eigene Watt addieren kann. Für die Umstehenden entsteht so der Eindruck, hier würde jemand aus eigener Kraft ungewöhnlich schnell durch die Stadt fahren. Und der Helm dient als Tarnung.

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Vor dem Gesetz ist das Espire ein Kleinkraftrad – eine Fahrzeugklasse, die in der Stadt besonders beliebt ist. Eine Zulassung braucht man nicht, nur ein Versicherungskennzeichen. Ein normaler Führerschein reicht und bei 45 km/h ist Schluss.  

 

  • Urbane Mobilität: Emissionsarm und elektrisch durch die Metropole
Urbane Mobilität: Emissionsarm und elektrisch durch die Metropole

Seit 2007 lebt die Mehrheit der Menschen in Städten. Ihr natürliches Bedürfnis nach Mobilität befriedigen sie mit Autos und Motorrädern, mit Bussen und Bahnen. Die Quittung dafür ist die permanente Gesundheitsbelastung durch Abgase und Lärm. Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma ist die Elektrifizierung der Verkehrsträger: Die nahe Zukunft fährt elektrisch. Auch, weil die Verknappung der fossilen Ressourcen den Umstieg irgendwann zum ökonomischen Zwang machen wird. ZEIT ONLINE stellt in einer Serie die neuesten Entwicklungen vor.

 

Zurzeit wird das Segment noch von Rollern dominiert, die in den Qualitäten Baumarkt (gut 1000 Euro) bis Vespa (ab rund 3000 Euro) zu haben sind. Im Regelfall fahren Kleinkrafträder mit einem Zweitaktmotor. Vom Emissionsstandpunkt aus betrachtet ist das eine Katastrophe. Gesundheitsschädliche Stickoxide belasten die Luft, das Öl zur Motorschmierung wird mitverbrannt und laut ist es auch noch.

 

Es ist darum nur logisch, dass sich der Elektromotor gerade hier durchsetzen kann. Mit einem Schlag gehen die Abgase von sehr hoch auf lokal null. Verantwortungsbewusste tanken grünen Strom, um auch auf bei der Stromerzeugung Kohlendioxid und Atommüll zu vermeiden. Gleichzeitig sinken die Lärmemissionen beträchtlich. Elektromotorräder sind geräuscharm. Sie surren mit hohem Drehmoment von der Ampel weg. Eine Vespa S50 leistet 4,4 Newtonmeter bei 6500 Umdrehungen. Der E-Motor des Espire kommt auf 150 Newtonmeter quasi aus dem Stand.

 

Die geringere Reichweite, der vermeintliche Schwachpunkt beim Elektroantrieb, ist für Kleinkrafträder im urbanen Betrieb kaum relevant. Das Espire kommt mit nur 820 Wattstunden (das entspricht weniger als 0,1 Liter Benzin) bis zu 90 Kilometer weit. Für den Weg zur Arbeit und zum Supermarkt völlig ausreichend. Aufgeladen wird die Batterie laut Hersteller in weniger als drei Stunden.

 

Das Ende des Zweitaktmotors

 

Das Kleinkraftrad der baden-württembergische Firma Elmoto

Das Kleinkraftrad der baden-württembergische Firma Elmoto

 

Billig ist das Produkt der jungen Firma Third Element aber nicht. Die edlen Komponenten fordern ihren Tribut: Knapp 7000 Euro kostet die zukunftsfeste Mobilität aus deutscher Produktion. Ein Spielzeug für Wohlhabende? Das kommt darauf an. Wer ein paar Tausend Euro für sein Triathlon-Fahrrad ausgibt, nimmt diese Hürde. Dass es preisgünstiger geht, zeigt die baden-württembergische Firma Elmoto, deren gleichnamiges Kleinkraftrad für 4000 Euro zu haben ist. Skaleneffekte werden folgen, und asiatische Elektroroller in einfacher Qualität sind nicht teurer als die benzingetriebenen Wettbewerber.

Ohnehin hat man sich in China in dieser Fahrzeugklasse längst an den Elektromotor gewöhnt. Ein geschätztes Drittel tankt an der Steckdose. Genaue Zahlen gibt es mangels Zulassungspflicht nicht. Dort findet gerade die mobile Sozialisation statt, die Deutschland in den fünfziger Jahren erlebte. Hier, im Land des Verbrennungsmotors, ist es noch ungewohnt und wirkt wie ein Wagnis, sich auf den scheinbar neuen Antrieb einzulassen. Scheinbar, denn beim Fensterhebemotor im eigenen Auto wundert sich niemand, dass er zuverlässig funktioniert.



Der entscheidende Mangel liegt bei den maximal erlaubten 45 km/h. Es darf als sicher gelten, dass darum mit Espire, Elmoto und kommenden Produkten das passiert, was bei Motorrädern immer passiert. Die Drosselung wird manipuliert. Früher ging das über ein anderes Ritzel oder Vergaserdetails. Bald reicht vielleicht ein Softwareupdate, das über einen Link im Internet zu haben ist. Das Espire würde dann 60 km/h und außerhalb des gesetzlichen Rahmens fahren.

 

Wer in der Stadt legal schneller sein will, muss zum Erockit greifen. Jenem futuristischen Gefährt, das ohne Gasgriff über die Tretgeschwindigkeit der Pedale gesteuert wird und 80 km/h erreicht. Die Idee des Österreichers Stefan Gulas hatte bereits vor zwei Jahren zu ungläubigem Staunen geführt. Kaum einer hat angenommen, dass es zum Preis von weit über 25.000 Euro mehr als eine Kleinserie geben würde. Inzwischen werden 12.000 Euro gefordert, weil die Serie läuft.

 

Ein lange tradiertes Argument der Motorradfahrer, das für den Verbrennungsmotor spricht, können die Produzenten der Elektrofraktion bisher nicht entkräften: Loud Pipes Save Lifes. Ein lauter Auspuff rettet angeblich leben, weil die notorisch übersehenen Zweiradfahrer durch ein penetrantes Geräusch schneller bemerkt werden. Ohren und Lungen der Anwohner dagegen werden die neue Emissionsarmut des Elektroantriebs dankbar zur Kenntnis nehmen.

 

Quelle: http://www.zeit.de/auto/2010-03/elektromotor-mobilitaet